Interview: Alzheimer und Genetik „Es betrifft die ganze Familie“

Foto des Humangenetikers Privatdozent Dr. Ulrich Finckh
  |   Alzheimer

Privatdozent Dr. Ulrich Finckh im Interview mit der AFI: Alzheimer ist in der Mitte unserer Gesellschaft und eine gesellschaftliche Herausforderung. Anlässlich des Welt-Alzheimer-Tags am 21. September blicken wir über den Tellerrand. Lesen Sie Gespräche mit einer Literaturwissenschaftlerin, einem Humangenetiker, einem Philosophen und einem Pflegeforscher.

Viele Menschen haben Angst, an Alzheimer zu erkranken – besonders wenn Alzheimer-Fälle in der Familie vorliegen. Wenn es Anzeichen für die familiäre Alzheimer-Erkrankung gibt, kann ein Gentest Gewissheit bringen. Doch ist es sinnvoll, kognitiv gesunde Menschen zu testen? Und vor allem: Was kommt nach einem positiven Test? Dr. Ulrich Finckh stand uns Rede und Antwort.

Ist ein Gentest bei familiärer Vorbelastung überhaupt sinnvoll, wenn es keine dauerhaft wirksame Therapie gibt?

Ein Test ist nur möglich, wenn in der Familie die ursächliche Genmutation bei einem Betroffenen bereits gefunden wurde. Pauschal ist die Frage der Sinnhaftigkeit eines Tests nicht zu beantworten. Ein Test kann beispielsweise sinnvoll sein, um Ängste zu nehmen, wenn Symptome vorhanden sind. Dann lässt sich zwischen „eingebildeten“ und frühen Anzeichen einer möglichen, genetisch bedingten Alzheimer-Erkrankung unterscheiden. Eine Testung gesunder Angehöriger von Betroffenen wird aber nur selten gewünscht.

Welche Möglichkeiten genetischer Tests gibt es? An welche Stelle kann man sich für eine Beratung wenden?

In jeder größeren Stadt existieren fachärztliche humangenetische Beratungsstellen, die Sprechstunden anbieten. Bevor man über einen Test nachdenkt, müssen bestimmte Anhaltspunkte erkannt werden. Sind diese vorhanden, ist evtl. ein Gentest möglich. Allerdings wissen wir, dass weniger als 0,5% aller Alzheimer-Erkrankungen klassisch erblich sind.

Wie gehen Patienten mit einem positiven Test auf die familiäre Form der Alzheimer-Demenz Ihrer Erfahrung nach um?

Ein Test ist ja nur möglich, wenn in der Familie die ursächliche Genmutation bei einem Betroffenen bereits gefunden wurde. Erkrankte verstehen oft die familiäre Tragweite des Testergebnisses nicht mehr. Ich selbst habe nur sehr selten gesunde Angehörige von Patienten (mit bekanntem Genbefund) erlebt, die sich testen ließen. Es besteht bei gesunden Angehörigen gelegentlich die paradox erscheinende Situation, dass Unsicherheit, bzw. Nichtwissen des eigenen genetischen Risikos mehr Angst verursacht, als die Gewissheit, bereits oder zukünftig an einer fatalen Erkrankung zu leiden.

Bei der Alzheimer-Erkrankung werden die Frühsymptome in der Regel vom Patienten selbst wahrgenommen. Dies kann zu schwerer Depression führen. Die Gefahr lauert  dann oft im Verdrängen oder versuchten Kaschieren der Symptome. Letzteres kann schnell überfordern. Daher raten wir zur Schulung eines konstruktiven Umgangs mit der fachärztlich gesicherten Diagnose. Dies ist vielleicht ein erster Schritt, um sich mit den Konsequenzen der Diagnose zu beschäftigen. Speziell die erbliche Form der Alzheimer-Erkrankung kann bereits in jüngerem Alter, also auch bei berufstätigen Menschen auftreten. Im Berufsalltag könnten nach Diagnosesicherung, ggfs. mit Gentest, in größeren Betrieben Behindertenbeauftragte zu Rate gezogen werden – besonders wenn erste Symptome auftreten.

Welche Möglichkeiten der weiteren Betreuung bieten sich nach einem positiven Test?

Wurde eine erbliche Ursache identifiziert, dann „betrifft“ das die ganze Familie. Eine individuelle Beratung ist notwendig, denn Testergebnisse können bei den Familienmitgliedern unterschiedlich ausfallen. Deshalb sollte ein psychologischer Kontakt bereits vorher bestehen. Im Rahmen der Testplanung wird ausführlich erwogen, ob der Patient psychologischen Rat erhalten sollte, um die Testsituation und deren Ergebnis besser zu bewältigen. Ein erfahrener Berater hat den Anspruch, Ratsuchenden zur individuell optimalen Entscheidung für oder gegen einen Test zu verhelfen.

Welche Chancen weist ein früh erkanntes Risiko auf?

Bisher gibt es kein Medikament, das vorbeugend einsetzbar ist. Häufig wird eine Umstellung der Lebensweise propagiert – weil bekanntermaßen Bewegung, Fitness, geistige Aktivität etc. mit niedrigerem Risiko für die klassische Alzheimer-Erkrankung assoziiert sind. Auch wenn diesbezüglich zur erblichen Alzheimer-Krankheit keine aussagekräftigen Studien zu finden sind, ist es möglicherweise empfehlenswert, gesund zu leben und die geistige Aktivität und körperliche Fitness im Blick zu halten.

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